Clash of Digitalisation: Akademiker vs. Blogger

Die Welt der Blogger und die Welt der Akademiker treffen beim wissenschaftlichen Bloggen aufeinander. Ich möchte ein paar unfertige Gedanken, Eindrücke und Fragen dazu hier sammeln, die zur Diskussion einladen sollen.

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Wissenschaftler sehen sich der Wahrheit verpflichtet und wollen für die Ewigkeit schreiben. Wenn sie in der Jugend einmal Unsinn geschrieben haben, wird das Papier zwar alt, aber nur in seltenen Fällen wird der alte Text wieder „ausgegraben“ und damit ein Strick daraus gedreht. Beim Bloggen macht man sich angreifbarer. Oder passiert das bei Papier und bei Blog nicht genau gleich?

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Der Blogger weiß um die Unsicherheit seines Wissens, versucht aber in dieser Unsicherheit mindestens so ehrlich und wahrhaftig zu sein, wie er eben zu diesem Zeitpunkt kann. Seine Meinung, sein Wissen sogar, kann sich ändern. Sein altes Wissen ist aber genau so sichtbar wie sein neues Wissen. Wie kann jemand gebildet sein, ein Wissenschaftler sein, wenn sich sein (vermeintliches) Wissen ständig ändert und das auch noch so offensichtlich?

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Der Akademiker strebt nach Reputation unter Fachkollegen. Es kommt nicht unbedingt darauf an, dass möglichst viele den Zeitschriftenbeitrag bzw. das Buch lesen, sondern dass die richtigen Menschen ihn lesen, eine Rezension schreiben oder ihn anderswie aufgreifen. Aber ein Blog erhöht doch die Chancen, dass die „richtigen“ ihn lesen, nicht?

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Blogger schreiben einerseits für ein spezifisches, interessiertes Fachpublikum, andererseits müssen sie auch immer für eine breitere Öffentlichkeit schreiben, da jeder mit Internetanschluss den Blog ansteuern kann, ja vielleicht durch eine Google-Suche zufällig dorthin gebracht wird. Die Blog-Statistiken messen, wie hoch die Klickzahlen sind, wie viele Kommentare gegeben wurden, wie oft der Artikel geteilt wurde.  Diese Zahlen versprechen aber keine Reputation im wissenschaftlichen Kontext, geschweige die Möglichkeit zu Karriere. Wird sich das ändern?

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Mir scheint, dass das, was wir als „Wissen“ verstehen, sich verändert. Wissen ist nicht mehr statisch, wie im Brockhaus, fest und sicher, sondern einem ständigen und schnellen Wandel unterworfen, wie in Wikipedia. Aber wie erkennt man dann in Zukunft einen Wissenschaftler, wenn man nicht mehr die Klausurantworten und Wissen eins zu eins abgleichen und bewerten kann (und das in Zeiten von Multiple-Choice-Studien)?

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Ohne Diskussion ist jedes gebloggte Wissen bald tot in einer hinteren Ecke des Internets, aber nur wenige trauen sich aus der Reserve einen Blogartikel zu kommentieren, ihn zu ergänzen, gar zu kritisieren oder ihn weiter zu verteilen. Möchte ich mich mit diesem Blogger/Wissenschaftler in Verbindung bringen lassen? Oder andersherum: Möchte ich diesem Blogger in der Öffentlichkeit bloss stellen, dass er etwas nicht weiß, dass er sogar Unrecht hat? Solche Fragen habe ich tatsächlich schon von Wissenschaftlern gehört, die darin die Sorge vor den Risiken des wissenschaftlichen Bloggens fragend verstecken.

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Nachwuchswissenschaftler, so glaube ich, müssen sich zunehmend lösen von der Idee, dass Reputation heißt, immer Recht zu haben, und dass derjenige, der zugibt etwas nicht zu wissen, der Dümmere ist. Ich weiß, dass ich nichts weiß. Oder? Aber was machen Wissenschaftler dann in Zukunft? Nur noch Fragen stellen. (?)

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Heute zerbrechen wir uns den Kopf darüber, wie wir zukunftssicher auf Blogartikel verlinken können. Morgen migirieren wir den Blog auf eine neue Plattform, weil die alte Plattform nicht mehr unterstützt wird oder Geld kostet oder nicht mehr aktuell aussieht. Manchmal wird er auch ganz gelöscht. An vielen Stellen des Internets wird klar, dass wir im Digitalen genau so wenig Wissen für die Ewigkeit festhalten können, wie im Analogen. Das Wissen „verflüssigt“ sich, muss ständig aktualisiert und umgezogen und neu verlinkt werden, damit es noch Relevanz hat, damit es auffindbar bleibt, sichtbar bleibt: wie vorher auf Papier auch schon, nicht wahr?

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Google und andere digitale Werkzeuge werden alles übersetzbar machen, Sprachgrenzen sind das kleinere Problem, bei schwierigen Texten, wird einfach Crowd-Sourcing zur Übersetzung genutzt. Die Muttersprache muss von keinem mehr aufgegeben oder gegen eine international genutzte Fremdsprache getauscht werden.

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Heute entscheiden große Forschungsinstitutionen, wohin das Geld für die Forschung fließt. Morgen sind es vielleicht die Bürger einer Zivilgesellschaft, die zunehmend selbst darüber entscheiden, welche Forschungsfragen Relevanz haben, sei es per Crowdfunding, Crowdsourcing oder Tools wie LiquidFeedback.

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In einer Diskussion sagte mir ein Wissenschaftler: „Blogs sind doch nur Meinungen“. Meiner Meinung nach sind Blogs nur andere Formen von Kommunikation, sehr viel veränderlicher, beweglicher, freier als das Papier. Vielleicht sollten wir doch ab und zu mal das Internet ausdrucken, um es festzuhalten.

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Ergänzungen?

Veröffentlicht von Sascha Foerster

Sascha Foerster ist Geschäftsführer der Bonn.digital GbR, Social-Media-Berater, Community Manager, Moderator für Barcamps und Speaker bei Digital-Events.

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6 Kommentare

    1. Es ist ein Zwiespalt: Einerseits muss der Wissenschaftler in seiner Selbstdefinition so nah wie möglich der Wahrheit nahe kommen. Dann ist es eben die andere Seite der Medaille, möglichst selten falsch zu liegen. Bei Platon weiß man dann am Ende nicht mehr, ob er jetzt weiß oder eben nichts weiß und man bleibt verwirrt zurück.
      „Publish first, filter later“, ein gutes Motto fürs digitale Publizieren, führt ja auch dazu, dass Unsinn veröffentlicht wird, der aber gefiltert wird. Wie groß die Öffentlichkeit wird, entscheiden die Leser, die „sharen“ und „liken“, danach die Programmierer in Form von Algorithmen und immer so weiter.
      Ein Artikel, der gut dazu passt, erschien vor Kurzem in der Zeit. Er zeigt gut, dass Reputation alleine nicht ausreicht um die Qualität wissenschaftlicher Ergebnisse zu überprüfen, man muss sie auch noch mal unabhängig überprüfen. Und wenn man Zugriff auf die Ursprungsdaten bekommt, dann kann manchmal sogar ein Student widerlegen, was ein anerkannter Wissenschaftler produziert hat. Im Regelfall gehe ich aber davon aus, dass Wissenschaftler zwar nicht unfehlbar sind, aber doch häufiger Wahres publizieren als andere. Oder bin ich da zu sehr Idealist?
      http://www.zeit.de/2013/27/staatsverschuldung-rechenfehler-thomas-herndon

    2. Gutes Zitat aus dem Blogbeitrag, den Felix verlinkt hat:

      Learning doesn’t happen from failure itself but rather from analyzing the failure, making a change, and then trying again. Over time this gives you a deep understanding of the problem domain.

      Das klingt wieder wie Platon. Erst feststellen, dass man nichts weiß, dann analysieren warum. :) Wobei ich philosophisch hier auch nicht ganz korrekt bin, „Fehler“ mit Nicht-Wissen gleich zu setzen.

  1. Ich glaube, mein Wissenschaftsverständnis könnte kaputt sein. Ich ging bislang immer davon aus, dass auch Wissenschaft Meinung ist. Zwar soweit wie möglich objektivierte Meinung, aber immer noch Meinung…

    1. „soweit wie mög­lich objek­ti­vierte Mei­nung“ – Wissenschaft als Versuch der Überwindung von Subjektivität… mal drüber nachdenken…

  2. Statisches vs. dynamisches Wissen:
    Die aktuelle Wissenschaft befindet sich grundsätzlich an der Schwelle des Bekannten. In diesem Bereich ist „Wissen“ höchst dynamisch, weil es erst mühsam und mit vielen Schüssen ins Blaue erarbeitet werden muss. Das allerdings von einem recht sicheren Grund aus, der sich in weitaus längeren Zyklen vielleicht mal auflockert (z. B. Einstein nach Newton). Es gibt aber eine riesige und immer größer werdende Basis von ziemlich bis sehr bewährtem Wissen, die wir uns auch zunutze machen in Form neuer Technologien.
    Das Potenzial des Internets sehe ich einerseits darin, den Erkenntnisgewinnungsprozess wesentlich effizienter und koordinierter gestalten zu können, indem bspw. verschiedene Forschergruppen viel zeitnäher als das früher möglich war aufeinander aufmerksam werden und durch eine (weltweite) Kollaboration ein umfassenderes Bild des Forschungsgegenstandes zustande bringen, und andererseits in einer interaktiveren und auf den Interessierten besser zugeschnittenen Erkenntnisvermittlung.
    Wissenschaftler, denen sowas liegt, können sich mit ihren Hypothesen und Experimenten im Stadium des Ausprobierens entblößen. Warum nicht?

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