Der Bonner Journalist Benjamin O’Daniel hat mich im März 2015 für das Magazin des Bonner Wissenschaftsladens interviewt. Das Magazin habe ich zum ersten Mal Anfang 2013 gesehen, als ich gegen Ende des Geschichts- und Psychologie-Studiums auf Jobsuche ging. Zufällig gab es ein Angebot: 3 Ausgaben für 10€. Dort waren viele Stellenanzeigen aus den Kultur- und Geisteswissenschaften gesammelt. Ich suchte zuerst nach Stellen mit meiner Lieblingspostzahl 53***, bis ich dort tatsächlich im dritten Magazin die Stelle als Community Manager bei der Geschäftsstelle der Max Weber Stiftung in Bonn (doc) gefunden habe (und wegen des Erfolgs bei der Bewerbung auch das Abo nicht verlängern musste). Ich wusste nicht genau, was ein Community Manager so macht, aber als ich die Stellenanzeige überflogen hatte, verriet mir mein Herzklopfen, dass ich genau das machen wollte. Die Max Weber Stiftung, das sind 10 deutschen geisteswissenschaftlichen Institute, „weltweit vor Ort“, wurde mein Arbeitgeber für die letzten drei Jahre.
„Geisteswissenschaften, Blogs, Bonn – da passte einfach alles.“ (Link zum vollständigen Artikel von Benjamin o’Daniel)
Community Manager bei der Max Weber Stiftung
Seit April 2013 arbeitete ich bei der Max Weber Stiftung als Community Manager und in den letzten 3 Jahren konnte ich in einem tollen internationalen Team (in Paris, Marseille, Madrid und Bonn) meinen kleinen Beitrag dazu leisten, dass das Portal wächst und gedeiht. Zum Anfang habe ich mir einige Ziele gesetzt und diese in meinem ersten Blogartikel bei de.hypotheses kommuniziert: http://redaktionsblog.hypotheses.org/1167. Seit dem Start mit etwa 70 deutschsprachigen Wissenschaftsblogs vor drei Jahren gibt es nun fast 400 Blogs bei de.hypotheses.org, und rund 100 Social-Media-Kanäle in den Instituten der Max Weber Stiftung.
Das Community-Management-Team hat per Mail, Chat, Hangout, Telefon und im persönlichen Austausch über Grenzen hinweg vernetzte Arbeit geleistet und dabei viel Freude bei der Arbeit gehabt, die alle mit viel Idealismus verfolgten, weil es die Forschung wert ist. Diese Arbeit hat sich fast nie wie Arbeit angefühlt, denn sie war von großer innerer Motivation und Kooperation im Team geprägt. Es ist natürlich eine Freude zu sehen, dass das Angebot des Blogportals so gut in der wissenschaftlichen Community angenommen wurde und wöchentlich mehrere neue Blogs eröffnet werden und ich wünsche mir sehr, dass sich das wissenschaftliche Bloggen weiter etabliert.
Zukunft des Bloggens und der Wissenschaft
Ich sehe aus diesen Erfahrungen auch für das Bloggen im Allgemeinen weiter eine gute Zukunft. Es geht ja nicht mehr nur um Internet-Tagebücher mit Katzenbildern, sondern um das Versprechen einfach und selbstständig im Netz publizieren zu können. Das funktioniert auch schon sehr gut, die Blogs sind ja „inhaltsagnostisch“ (wie Manfred Thaller bei einer Digital-Humanities-Konferenz sagte). Also kann man dort neben Katzenbildern auch hochwissenschaftliche Erkenntnisse publizieren, der Sekretär genau so wie die Forscherin.
Wo liegt dann aber das Problem? Im Artikel von Benjamin o’Daniel werde ich so zitiert:
„Letztlich muss das wissenschaftliche Reputations- und Bewertungssystem verändert werden. Es kann nicht sein, dass man für eine Veröffentlichung in einer teuren, aber nicht verfügbaren Fachpublikation Anerkennung erhält – die Artikel dort aber viel weniger als im Blog wahrgenommen werden können. Die Öffentlichkeit nimmt daran nicht teil. Wenn man umgekehrt im Netz seine Arbeiten digital veröffentlicht, wird man schnell als Blogger herabgewürdigt und nicht als publizierender Forscher anerkannt.“
Bloggen alleine reicht also noch nicht für die wissenschaftliche Karriere. Man muss trotzdem für die Anerkennung dieses Mediums weiter kämpfen, und das in einem Umfeld, dass oft noch sehr skeptisch und mit Vorurteilen bezüglich des Internets und digitaler Weiterentwicklungen der Forschung und ihrer Methoden behaftet ist.
Hürdenlauf Forschungsfinanzierung
Das direkt mit der Reputation verbundene Problem ist das der Forschungsfinanzierung, die immer mehr aus befristeten Drittmitteln besteht, selbst wenn es um dauerhaft zu erhaltende Forschungsinfrastrukturen geht. Wenn niemand den Strom für die Festplatten bezahlt, wenn niemand die Informatiker für Software-Updates bezahlt und niemand ein Community Management für den Aufbau, Aktivierung und Kommunikation mit den Nutzern dauerhaft und nachhaltig bezahlen kann, dann sind solche Infrastruktur-Projekte ständig in Gefahr. Andererseits: die Geldgeber wollen auch keine „toten Pferde“ reiten, die bis in die Unendlichkeit wachsen und weiterlaufen, aber niemals einen echten Nutzer sehen, auch davon gibt es genug abschreckende Beispiele. Insofern scheint es für sie vernünftig zu sein durch Projektförderung Bruchlinien einzufügen. Für den Nachwuchs ist es ein ewiger Hürdenlauf.
Ich bin im Laufe meines Studien- und Berufslebens nun über einige dieser Bruchlinien gesprungen. Es waren 22 Arbeitsverträge, die ich in den letzten 8 Jahren als Student und Absolvent unterschrieben habe, denn sie waren bisher alle befristet, der kürzeste war 3 Monate. Mein letzter Projektvertrag (50%, TVöD 13) bei der Max Weber Stiftung war auf zwei Jahre begrenzt und ich hatte das Glück, dass er noch zweimal um einige Monate verlängert wurde, so lange es eben irgendwie ging. An der Universität Bonn habe ich mich zuletzt mit Kurzzeitverträgen als wissenschaftliche Hilfskraft, dem Crowdfunding (12 Monate), dem DARIAHde-Fellowship (6 Monate, 50% TVL E13) und zuletzt mit einer 4 1/2-monatigen Stelle (33% TVL E13) nicht nur über Wasser halten können, sondern im Vergleich zu vielen anderen Doktoranden vergleichweise noch gut verdient (oft bekommen sie nur eine 50%-Stelle müssen aber voll für den Lehrstuhl arbeiten). Manche gratulierten mir zu diesem Glück, dass ich insgesamt eine volle E13-Stelle hatte und tatsächlich habe ich ein schlechtes Gewissen über die Situation an den Universitäten zu jammern, wenn ich so gesehen schon zu den Gewinnern gehörte. Aber kann es sein, dass man mit 30 Jahren und nach zwei abgeschlossenen Studiengängen in der Wissenschaft nur befristete Kleinst- oder Projektverträge bekommt? Vielleicht ja, ich bin lange Zeit bereit gewesen das zu akzeptieren, vielleicht hätte ich auch noch 10 Jahre so weiter gemacht, bis zur Promotion und dann muss man als promovierter Nachwuchswissenschaftler (!) ja auf eine Juniorprofessur hoffen, bis man irgendwann Mitte 40 endlich ein richtige Nachwuchsstelle als Wissenschaftler bekommen hat, denn bis dahin ist man für nichts anderes mehr zu gebrauchen. Alternativ stünde mir nach der Promotion eine Karriere im Wissenschaftsmanagement offen, wohlgemerkt, nach der Promotion und einer weiteren kostspieligen Zusatzausbildung, so lautete ein Rat an mich. Mehrverdienst nach den Strapazen: 200€ im Monat, aber immerhin eine Chance auf eine unbefristete Stelle in der Wissenschaftsverwaltung, einem Bereich in der Forschung mit Zukunft, Projekte müssen ja verwaltet werden. Für Geld macht man es also nicht. Für Sicherheit aber auch nicht, denn:
„Projektgelder sind Projektgelder sind Projektgelder.“ (Henning Krause)
Und Projekte gehen nun mal zu Ende. Und so kommt es, dass Ende des letzten Jahres beide Projekte endeten, mangels Nachfolgefinanzierung. Beide Arbeitgeber und alle Kollegen haben sich Mühe gegeben weitere Projektanträge an Land zu ziehen um die Drittmittelmaschine am Laufen zu halten. Aber manchmal dauert ein Antrag eben länger als erwartet oder die Vorbereitung verbraucht die gesamte Anschubfinanzierung. Das Ergebnis dieser Anträge steht erst fest, wenn meine Stelle schon abgelaufen ist. Alternativfinanzierungen: Fehlanzeige. Zukunftsperspektiven: null. Sicherheit: keine. Hoffnung? Dass ein Antrag bis Ende des Jahres doch überraschenderweise erfolgreich wird, während man sich durch die Finanzierungslücke mit Sozialhilfe rettet und weiter promoviert? Das war keine Alternative, da ich Ende letzten Jahres wusste, dass ich Vater werde und Verantwortung übernehmen muss.
Verantwortung und Entscheidungen
Angesichts dieser Umstände habe ich mich entschieden, selbst eine klare Entscheidung zu fällen und nicht mehr weiter in der Wissenschaft zu arbeiten. Meine Promotionsprojekt, an dem ich mit viel Herzblut hänge, werde ich nebenberuflich fortsetzen, sobald ich wieder eigenmotiviert bin und etwas mehr Zeit habe, vielleicht ist es aber auch einfach ein Abbruch, wenn ich ehrlich zu mir bin. Wenn ich in der Forschung nur noch dazu komme Formulare auszufüllen um neue Formulare mit Anträgen auszufüllen, erschließt sich mir der Sinn nicht mehr, warum ich in der Forschung arbeiten soll. Besonders deutlich wurde mir der Unterschied durch das Crowdfunding-Jahr: ein Jahr Forschung mit quasi 5 Sekunden Verwaltungsaufwand: die Überweisungen auf mein Konto. Die Kommunikation vorher verbuche ich auch als Forschung, zumindest als Forschungskommunikation, mit der ich das Thema und das Wissen um das Thema einer Öffentlichkeit zugänglich mache. Ich gründete also mit Johannes Mirus meine eigene Firma: Bonn.digital. Die Selbstständigkeit gibt mir jetzt größere Sicherheit als die Arbeit im öffentlichen Dienst. Verkehrte Zeiten, könnte man denken.
Wo sind heute die Orte, an denen Wissen offen ausgetauscht wird und Innovation entstehen kann? ich habe viele Abende in Meetups und Stammtischen in Bonn verbracht: Socialbar, Webmontag, Social Media Chat, Wissenschafts-Online-Kommunikation, BarCamps, Coworking-Spaces, DigitalHubs usw. Die Chancen der digitalen und analogen Netzwerke, der Wissensaustausch auf Augenhöhe und die Inspiration für neue Ideen durch unerwarteten Kontakt mit fremden Bereichen, dass habe ich offen gesagt dort häufiger erlebt als in vielen Universitäts-Seminaren. Dort ging es vielen nur mehr um Credit-Points, Prüfungen, Abschlüsse: Papiere, die etwas bescheinigen. Und auch die Karrierewelt nach dem Studium an der Universität wurde zum einem „Game of Forms“, einem Spiel der Formulare. Wobei ich immer auch auf freidenkende Menschen mit offenen Ohren gestossen bin, die aber selbst auch nichts an der Situation ändern konnten.
Nun gut, es war nicht alles negativ, auch wenn ich verständlicherweise traurig und etwas frustriert von der Situation bin. Ich habe bei der Max Weber Stiftung einen Beruf kennen gelernt, den ich nicht als Arbeit empfinde, sondern der mir viel Freude macht und so enorm viel Lebensqualität gewonnen. Ich habe viel on-the-job gelernt und vor allem viele interessante Menschen und ihre Themen durch die Blogs und ganz oft auch persönlich bei Konferenzen oder anderen Gelegenheiten kennen gelernt. Ich hatte sehr viele Freiheiten und großes Vertrauen geschenkt bekommen. Ein Team, dass durch dick und dünn ging und das ich vermissen werde. Eine Community, die mich oft zum Lachen brachte, seltener zum Weinen.
Meinen Job als Community Manager für de.hypotheses.org ist nun beendet. Meine Berufung „Community Mangement“ habe ich durch die Max Weber Stiftung gefunden. Hypotheses selbst wird weiter wachsen, das Team um OpenEdition und dem DHI Paris in Frankreich arbeitet hart und mit Leidenschaft daran, dem Vertrauen der Blogger so gerecht wie nur möglich zu werden. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die Max Weber Stiftung den Bedarf an Community Management sieht und dringend Lösungen sucht, wie sie ihn finanzieren kann. Ich selbst bleibe auch Teil der Community mit dem Nachkriegskinder-Blog und den vielen Projekten und Ideen in der Community, wie EDIT und HistoCamp.
Nun: es kommt viel Neues. Ich bin seit Anfang des Jahres mit Johannes Mirus in unserer gemeinsamen Firma Bonn.digital selbstständig; ich bin am 1. April 2016 Vater ein wundersüßen Tochter geworden und habe noch viele Ideen, wie die Digitalisierung noch weitere Lebensbereiche verbessern kann, vor allem im Lokalen.
Darum: Ich möchte mich herzlich für das Vertrauen bedanken, dass ihr mir als Community Manager entgegen gebracht habt, für die schönen Jahre bei der Max Weber Stiftung und in Zusammenarbeit mit dem DHI Paris und OpenEdition in Marseille. Einfach Danke! Und auch der Wissenschaft will ich nicht einfach so Adieu sagen, denn die Neugier in mir wird immer wach bleiben, mit oder ohne Titel.