Als ich Mitte 2015 mit Johannes beschlossen hatte ein Unternehmen zu gründen, war meine Frau bereits schwanger. Ich bin immer noch etwas enttäuscht, dass in solchen Phasen die Dauerbefristungen der Wissenschaft und selbst der öffentliche Dienst uns als Familie keine Sicherheit bieten konnten, wie ich es erhofft hatte. Aber ich trauere der Entscheidung und der Zeit dort keine Träne nach. Alles ist besser geworden. Und die Elternzeit war genau die richtige Entscheidung für uns.
Nun ist die Firma anderthalb Jahre alt, sie wächst und entwickelt sich, und meine Tochter ist nun ein Jahr alt, auch sie entwickelt sich jeden Tag und lässt mich immer wieder von Neuem erstaunen. Die letzten Monate waren ganz schon turbulent, wie man sich mit 2 „Startups“ so vorstellen kann. Ohne Mühe kann man nachts um 4 Uhr gemeinsam das Kind beruhigen und am nächsten Morgen Aufträge an Land ziehen. Das ist natürlich Ironie, es ist anstrengend, aber die Liebe macht es leicht. Oder man vergisst schneller. Beide wollen volle Aufmerksamkeit und beide haben volle Aufmerksamkeit verdient, denn ohne den selbstständigen Job wird das Familienleben nicht einfacher, aber ohne Zeit zu Hause ist das verdiente Geld, auch nichts wert.
Umso dankbarer bin ich Johannes, dass er dieses Abenteuer „Elternzeit in der Selbstständigkeit“ mit meiner Familie eingegangen ist, nachdem wir mit Bonn.digital gerade mal ein Jahr auf dem Markt sind. Wir haben uns vorher zusammen abgerackert und gearbeitet, damit wir uns die notwendigen Reserven aufbauen können. Johannes bekam zwar tatkräftige Unterstützung von Robin und Ines, die bei uns Praktikum gemacht haben bzw. machen, aber ansonsten war Johannes zwei Monate auf sich alleine gestellt.
Danke Dir, Johannes, für dieses wundervolle Geschenk, dass Du unserer Familie gemacht hast.
Zuerst war ich mich nicht sicher, ob es als Selbstständiger mit der wechselhaften Vorgeschichte überhaupt möglich ist, Elternzeit zu beantragen. Es war durchaus ein bürokratischer Spießrutenlauf, aber zum Ende hat es doch ganz einfach geklappt. Es wurden meine Gehälter (Uni und Max Weber Stiftung) und Einkünfte (Bonn.digital) aus der Steuererklärung von 2015 als Bemessungsgrundlage genommen, damit wurde mein Einkommen für 2016 geschätzt. Anhand dieser Zahlen bekam ich 2017 im April und Mai zwei Monate Elterngeld, meine Frau die anderen 12 Monate.
Um nachzuweisen, dass ich in der Elternzeit kein Geld verdiene (korrekter gesagt: keine Gewinnausschüttungen aus der GbR bekomme), habe ich mit Johannes einen Gesellschaftervertrag erstellt: Er erhält dieses Jahr 12 von 22, ich 10 von 22 Teilen des Gewinns. Damit war das Amt einverstanden und Johannes arbeitet auch nicht umsonst alleine, wenn ich weg bin. Wann die Rechnungen im Jahr anfallen ist egal, so bleibt es für alle fair. Sobald die Einkommensteuererklärung für 2017 eingereicht wird, kann ich das tatsächliche Einkommen anrechnen lassen (und bekomme, wenn es gut läuft, noch eine Nacherstattung). So habe ich das Prozedere zumindest verstanden, aber ehrlich gesagt: Lass Euch für euren individuellen Fall beraten, denn es gibt hunderte Ausnahmen und Regeln für Selbstständige, so dass da kein normaler Mensch einfach so durchsteigt. Aber traut Euch das Elterngeld-Thema überhaupt anzugehen, es lohnt sich vor allem emotional.
Das Elterngeld deckte nicht alle laufenden Kosten, aber den „Luxus“ Zeit zusammen zu haben, wollten meine Frau und ich uns mit unserer Tochter gönnen, wann, wenn nicht jetzt? Und auch als Selbstständiger tut es gut, eine Auszeit zu haben, auf andere Gedanken zu kommen, aus dem Tagesgeschäft raus zu sein und langfristig denken zu können.
Obschon: Als eigener Chef ist es ja sonst schon so, dass ich im Grunde selbst entscheiden kann, wann ich arbeite und wann eben nicht. Wenn ich um 10:15 Uhr erst im Coworking ankomme, weil ich zusammen mit meiner Tochter noch gefrühstückt habe und wir einen Arzttermin hatten, dann wartet keine Stechuhr und kein Vorgesetzter mit bösem Blick auf mich. (Meist weil Johannes noch später ins Büro kommt.) Als Selbstständiger kann ich selbst entscheiden, wann ich produktiv sein kann und sein möchte. Und so komme ich abends nach Hause, bringe meine Tochter noch ins Bett und erledige einen Teil des Tagwerks vollmotiviert am späten Abend, wenn alles ruhig ist und die E-Mail-Postfächer der anderen wehrlos sind. Trotzdem ist die Elternzeit noch etwas anderes, weil der Fokus einfach beim Kind liegt.
Die Firma aus meinem Kopf komplett auszublenden fiel mir natürlich nicht immer leicht. Auch in der Elternzeit bleibe ich Geschäftsführer und habe Verantwortung. So bat mich Johannes manches Mal freundlich aber bestimmt den Firmenchat zu verlassen, während ich nur mal kurz checken wollte, ob alles läuft und nebenbei das Tagesgeschäft aus meinem Urlaub kommentierte während meine Tochter ihren Mittagsschlaf hielt. Ich habe mir aber auch Abends mal die Zeit genommen Dinge zu erledigen, für die man im Tagesgeschäft keine Zeit hat: zum Beispiel das Bürgerliche Gesetzbuch komplett lesen. Und danach HGB, TMG, BDSG, usw. Das war alles sehr erhellend und mental wohl nur ertragbar, wenn der restliche Tag aus Frühstücken, Spazierengehen und anderen Kinder-Terminen besteht. Es zeigt aber, dass eine Firma durchaus von der Elternzeit ihrer Mitarbeiter profitieren kann. Ich habe 130 kreative Ideen und ToDos in dieser Zeit generiert, da wird keinem langweilig, wenn man zurück in die Firma kommt.
Aber viel wichtiger war es Zeit mit meiner Tochter zu verbringen, eine stärkere Bindung aufzubauen, jeden Tag im Detail mitzuerleben, wie sie kleinen Dinge lernt, die für uns Erwachsene so selbstverständlich sind: mit der Gabel etwas leckeres essen, ein paar Schritte an der Hand gehen, sich hinsetzen und wieder aufstehen, „Nein“ sagen. In der Auszeit habe ich wenn, dann meist passiv in die sozialen Medien reingeschaut, Tweets und Postings auch mal ignoriert und seltsamerweise viel mehr irrelevantes Rauschen als sonst erlebt, als ich durch die Timelines müde scrollte. Social Media zielt oft darauf ab, die Nutzer möglichst lange abzulenken. Wie wäre es mal mit sozialen Medien, die aus ihrer Struktur heraus Relevantes hervorheben und begrenzen und ihren Usern zum Ziel verhelfen und Zeit schenken, statt immer weiter Aufmerksamkeit zu rauben (Idee Nr. 73 in der Elternzeit) Teilweise war ich meine stets überfüllten und endlosen Timelines in Facebook, Twitter und sonstwo richtig schön satt. Und fragte mich, ob es nicht anderen auch so geht und was man dagegen tun kann, das die Zeit so aufgefressen wird.
Trotzdem: Was ich in unserem zweiwöchigen Urlaub während der Elternzeit schlecht ertragen konnte, war es vom echten Internet ungewollt abgeschnitten zu werden. So machte ich mir manchmal bei langen Wanderungen in den Alpen Gedanken zu Glasfasern, Netzwerkdurchsetzungsgesetzen und Telemedien, Netzneutralität und warum wir kaum mobile Daten zum bezahlbaren Preis bekommen. Aber diese Gedanken gingen auch ganz schnell wieder in den Hintergrund: Was ist gerade eigentlich wirklich wichtig? Das Internet war es meistens nicht wirklich.
Ich freue mich riesig nach diesem Urlaub und der Elternzeit Anfang Juni jetzt wieder bei Bonn.digital zu starten und Johannes zu entlasten: ich bin erfrischt, motiviert und voller Tagendrang. Ich freue mich auch wieder Internetzugang zu haben, auch wenn ich ihn viel moderater nutze. Und noch etwas war in den ersten Tagen gewaltig anders. Ich hatte erlebt, was es bedeutet einen ganz Tag mit meinem Kind zu verbringen und werde seitdem das Gefühl des Heimwehs nicht mehr los.
Das Gefühl ist wahrlich nicht neu, aber es war noch nie so stark.
Ich wehre mich vehement gegen die Unterstellung, meistens erst nach 10:15 Uhr anzufangen. Um diese Uhrzeit sitze ich normalerweise schon seit locker fünf Minuten am Schreibtisch!
Ihr macht das gut – und Du Sascha machst das richtig. Genieße die Zeit – die kleinen Racker werden sooo schnell groß – und wir de facto, wenn auch nicht gefühlt, so schnell alt…